Blog-Layout

Tariforientierung: "Die beste Regelung für die Pflege in den letzten Jahren"

Redaktion • Juli 30, 2023

Ab dem 01. September 2022 gilt, dass Pflegeeinrichtungen entweder nach Tarif zahlen müssen oder die Regelungen eines bestehenden Tarifvertrages übernehmen bzw. nach dem „regionalen üblichen Entgelts“ zahlen müssen. In einem Redaktionsgespräch wurden die bisherigen Erfahrungen zur Umsetzung reflektiert und weiteren Perspektive in Sachen „Tariforientierung“ erörtert.


An dem Gespräch nahmen der Landesgeschäftsführer des ASB Saarland, Bernhard Roth, der Geschäftsführer der Pflegeeinrichtung Gevita in Friedrichsthal Uwe Battis und der Pflegesatzreferent des Paritätischen Rheinland-Pfalz Saarland Jörg Teichert teil. Für Pflegeinform (PI) stellte Harald Kilian die Fragen.


PI: Herr Roth, Ihre Einrichtungen sind ja tarifgebunden. Gab es für Sie in dieser Frage dennoch Probleme bei den Pflegesatzverhandlungen?


Bernhard Roth: für uns haben die Vorgaben zur Tariforientierung keine gravierende Auswirkungen gehabt, weil wir unserer Tarife nur fortgeschrieben haben. Das heißt, wir hatten letztes Jahr eine Steigerung von 2,8% Personalkosten, hinzu kam die Inflationssteigerung und die Steigerung der Energiekosten, so dass wir insgesamt bei einer Steigerung von 4% landeten.


PI: Herr Battis, Ihre Einrichtung war bzw. ist nicht tarifgebunden. Wie lief bei Ihnen die erste Pflegesatzverhandlung nach der Einführung dieser Regel, gab es besondere Umsetzungsprobleme?


Uwe Battis: Wir hatten, mit Blick auf die kommende Veränderung schon in der Vergütungsverhandlung für 2022 eine erste Anpassung im Gehaltsbereich vorgenommen. Dies wurde erleichtert durch Begrenzung des Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen für die stationäre Pflege. So wurde die deutliche Kluft zwischen den personalkostenbedingten Erhöhungen und den aktuellen Entgelten für die Pflegeheimbewohner deutlich abgemildert. Diese stufenweise Umsetzung hatten wir im Paritätischen für die nicht tarifgebunden Einrichtung  auch so geplant. Die Erhöhung ging in der Pflegesatzverhandlung auch unproblematisch über die Bühne. Allerdings wussten wir zu den damaligen Zeitpunkt nicht, was da alles noch auf uns zukommt: Stichwort Inflationsrate, Lebensmittelpreise und Energiekosten. Wobei wir dankenswerterweise für die Energiekosten staatliche Unterstützung bekamen, der zeitlichen Verzug hat uns allerdings Probleme bereitet.


Ein weiteres Problem lag für uns in der Tatsache, dass im AVB 2 Tarif, an den wir uns anlehnten, eine lineare Tariferhöhung von linear 2% vorgesehen war. Stufensprünge durch Bewährungsaufstiege haben jedoch eine reale Gesamtkostensteigerung von 5% verursacht. Diese haben wir in der Pflegesatzverhandlung leider so nicht abbilden können. Dies wird in Zukunft von uns sicherlich besser gehandhabt werden.


PI: Herr Teichert, als Pflegesatzreferent haben Sie die allermeisten Verhandlungen persönlich geführt oder begleitet. Wie ist Ihre Wahrnehmung und gab es begleitende Regelungen mit den Kostenträgern zur Umsetzungspraxis?


Jörg Teichert: Ja, wir haben uns im Saarland im Vorfeld über die Saarländische Pflegegesellschaft (SPG) mit den Verantwortlichen von Pflegekassen und Landkreistag frühzeitig abgestimmt.


Die Situation bei uns beim Paritätischen Wohlfahrtsverband ist in gewisser Weise eine Sondersituation, weil wir eine sehr heterogene Mitgliedschaft haben. Das heißt wir mussten uns im Vorfeld auf verschiedene Szenarien einstellen:


  • Szenario 1: Relativ leicht war es für die Mitgliedsorganisationen, die tarifgebunden sind wie zum Beispiel der ASB .
  • Szenario 2: Bei den nicht tarifgebundenen Einrichtungen mussten wir die Mitgliedsorganisationen dahingehend informieren, dass sie die Wahl haben entweder sich an einen örtlich geltenden oder bundesweit geltenden Tarifvertrag anzulehnen oder aber das regional übliche Belohnungsniveau zu wählen.


Zum Jahreswechsel 2021 / 2022 haben sich Mitgliedsorganisationen, die nicht tariflich gebunden waren, auf unsere Empfehlung hin, an den Tarifvertrag Altenpflege Deutschland angelehnt.  Mit den Kostenträger hatten wir eine Überleitung abgestimmt. Diese sah vor, dass von der bestehenden Gehaltstruktur auf den Tarifvertrag Altenpflege Deutschland mit all seinen Bestanteilen wie Jahressonderzahlungen und Zulagen, übergeleitet wird. Jede einzelne Pflegeeinrichtungen oder jeder einzelne ambulante Dienste hat damit seine individuelle prozentualen Steigerung errechnet. Da wir das Verfahren vorher mit den Kostenträgern vereinbart hatten, gab es auch bei der Umsetzung keinerlei Probleme.


PI: Wie wurden die neuen Regelungen in der Belegschaft und dem Betriebsrat aufgenommen?


Uwe Battis: In unserer Einrichtung wurden natürlich die Veränderungen begrüßt und als „angemessen“ bewertet. Kritisch anzumerken ist, dass die gesetzlichen Vorgaben aktuell nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Pflege und Betreuung gelten. Alle anderen Bereiche wie Verwaltung, Hauswirtschaft, Technik oder Reinigung sind außen vor. Wir haben dennoch auch für diese Bereich deutliche Erhöhungen vorgenommen Das sind wir den Mitarbeitenden, gerade in den aktuell schwierigen Zeiten, auch schuldig. Wir möchten auf Dauer schon in einen Tarifvertrag kommen, der alle Beschäftigten in unserer Einrichtungen umfasst.


Jörg Teichert: Die diesbezügliche Ausführungsrichtline zum § 72 Abs. 3c SGB XI soll auch dahingehend geändert werden, dass künftig alle Mitarbeitenden von der entsprechenden Regelung umfasst werden.


Bernhard Roth: Im letzten Jahr sind unsere Tarife um 2,8% gestiegen. Wir konnten folgenden Effekt feststellen: Da in der öffentlichen Diskussion und auch im Vergleich mit anderen Einrichtungen von deutlich höheren Steigerungen die Rede war, fragten sich einige Mitarbeitende, wieso das bei uns relativ niedrig war. Wir mussten erst einmal klar machen, dass wir von einem zum Teil deutlich höheren Ausgangsniveau kommen und für ein Vergleich die Daten auf der jeweiligen Lohnabrechnung betrachtet werden sollten.


PI: Wie waren die Auswirkungen auf den Pflegesatz und damit auch auf die zusätzlichen Belastungen für die Pflegebedürftigen?


Bernhard Roth: bei uns gab es nur relativ geringe Auswirkungen. Wir hatten insgesamt eine Steigerung um 4%. Da gleichzeitig die Zusatzleistungen aus der Pflegeversicherung gekommen sind, haben die wenigsten davon etwas gespürt.


Uwe Battis: Wie schon erwähnt hat sich die Steigerung im Jahr 2022 durch die gleichzeitige Erhöhung der Leistungen der Pflegeversicherung nicht so gravierend ausgewirkt, sondern sie ist im Rahmen der sonst üblichen Anpassungen der Pflegesätze geblieben. Allerding stehen noch weitere Erhöhungen an, die nicht nur durch die Personalkosten, sondern auch durch die gestiegenen Sachkosten verursacht werden.


Bernhard Roth: Im ambulanten Bereich spüren wir durch die gestiegenen Leistungsentgelte deutliche Veränderungen. Es werden nicht mehr so viele Leistungen abgerufen. Auch merkt man, dass aufgrund der hohen Inflation den Menschen einfach weniger Geld zur Verfügung steht und deshalb auch in der Pflege gespart wird.


Uwe Battis: Das kann ich für die Tagespflege bestätigen. Hier buchen Pflegebedürftige die vorher 5 Tage in der Woche bei uns zu Gast waren nur noch 3 oder 4 Tage.


PI: Sie stehen jetzt vor einer neuen Vergütungsrunde. Hat sich was geändert und wie wollen Sie sich aufstellen?


Jörg Teichert: Ja, es hat sich insoweit was geändert, als dass den Verantwortlichen bei den Pflegekassen klar geworden ist, dass die Einrichtungen als Ganzes betrachtet werden müssen, also auch die Gehaltsstruktur bei dem Personal, dass nicht zur Gruppe Pflege und Betreuung zählt.


Allerdings werden wir wieder mit sehr engen Fristen zu kämpfen haben. Das hängt damit zusammen, dass zunächst die bestehenden Tarifverträge bis zum 30.09. an die Clearingstelle gemeldet werden muss. Diese teilt dann bis November mit, welche Tarifverträge in den jeweiligen Bundesländern als maßgeblich gelten. Danach erst können die „regional üblichen Entgelte“ festgestellt und veröffentlicht werden. Das heißt, um die Fristen gegenüber den Bewohnern für nicht-tarifgebundenen Einrichtungen einzuhalten, eine Ankündigung auf der Grundlage einer Schätzung. Ein insgesamt sehr verwaltungs- und zeitaufwändiges Verfahren! Wir hoffen im Übrigen sehr, dass wir in der kommenden Verhandlungsrunde sowohl die gestiegenen Sachkosten als auch die Zahlung der steuerfreien Pauschale für das Jahr 2024 vereinbaren können.


Für Rheinland-Pfalz gilt, dass für tarifgebundene Einrichtungen das Verfahren ähnlich wie im Saarland ist. Für nicht-tarifgebundene Einrichtungen unterscheidet sich das Verfahren deutlich. Hier werden auf der Grundlage der vorliegenden Daten 3 Mustereinrichtungen (ambulant, teilstationär und stationär) kalkuliert. Die festgestellte Steigerung soll dann als fester Eurobetrag auf die bestehenden Pflegesätze aufgeschlagen werden. Die Verhandlungen werden meines Erachtens durch dieses Verfahren deutlich schwieriger und problematischer werden.


Bernard Roth: Für uns ist das Verfahren klar, wir werden entsprechend dem Tarif zu Verhandlungen auffordern und gehen davon aus, dass diese auch konstruktiv verlaufen.


Uwe Battis: Für uns ist die Situation insofern kompliziert, als dass wir mit der Paritätischen Tarifgemeinschaft einen eigenen Tarifvertrag anstreben. Wir möchten bei der Entlohnung das Niveau des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes erreichen, jedoch einen deutlich unkomplizierteren Manteltarif vereinbaren. Leider sind die Verhandlungen noch nicht so weit, so dass wir für den nächsten Vergütungszeitraum eine weitere Übergangslösung brauchen.


PI: Was sind die weiteren Erwartungen oder auch Forderungen für die weitere Entwicklung in dieser Frage?


Uwe Battis: Ich würde mir wünschen, dass die Pflegesatzverfahren deutlich unkomplizierter werden. Viele Kostenfaktoren können von den Einrichtungsbetreiber nicht oder nur geringfügig beeinflusst werden. Es wäre sinnvoll solche Faktoren als Gestehungskosten seitens der Kostenträger anzuerkennen, ohne dass darüber lange gefeilscht werden muss. Insgesamt sind durch den Aufwuchs verschiedenster Meldepflichten – nicht nur im Bereich der Entlohnung – eine erhebliche bürokratische Zusatzbelastung entstanden, die am Ende von den Pflegebedürftigen bezahlt wird. Hier sollte eine deutliche Korrektur erfolgen!


Bernhard Roth: Die weiteren Bestrebungen sollten darauf ausgerichtet sein, zu einer weitgehend gleichen Gehaltsstruktur in allen pflegerischen Segmenten zu kommen, also in Krankenhäusern sowie in der stationären und ambulanten Langzeitpflege. Auch sollten der Abwerbungspraxis mittels hoher Abwerbungsprämien von Pflegekräften ein Riegel vorgeschoben werden.


PI: Wie ist Ihr persönliches Resümee: Sind die Vorgaben zur Tariforientierung trotz aller Probleme grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung?


Bernhard Roth: Ja, auf jeden Fall. Wir sind ja als ASB schon lange vor der gesetzlichen Vorgabe in diese Richtung gegangen. Die Mitarbeiterinnen in der Pflege brauchen verlässliche Grundlagen und auch die Träger müssen sicher sein, dass die Gehälter in der Pflege grundsätzlich über die verhandelten Entgelte abgedeckt werden können.


Uwe Battis: Wenn das so eintrifft wie propagiert, dass sowohl die Gehälter in den Pflegesatzverhandlungen als auch die Anzahl der Beschäftigten nach den neuen Vorgaben der Personalbemessung anerkannt werden, dann war das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.


Jörg Teichert: Ja, es war aus meiner Sicht die beste gesetzliche Änderung, die die Regierung für die Pflege in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat.


PI: Vielen Dank für das Gespräch und über die Erfahrungen mit der Umsetzung der Personalbemessung unterhalten wir uns im nächsten Jahr!

Teilen

Share by: